„Die vor dem Hintergrund der Ereignisse am Kölner Dom in der Silvesternacht 2015/2016 verabschiedete Reform des Sexualstrafrechts und die Einführung der ‚Nein-heißt-Nein-Regelung‘ sind ein wichtiger Schritt zur Stärkung des Schutzes von Opfern sexueller Gewalt. Die mit heißer Nadel gestrickte Regelung hat jedoch auch eine Schutzlücke verursacht, die Opfer sexueller Gewalt im Regen stehen lässt. Denn nach derzeitiger Rechtslage steht diesen Opfern kein Anspruch auf rechtliche Beratung und Unterstützung im Straf- bzw. Ermittlungsverfahren zu. Diese Lücke müssen wir schnellstmöglich schließen. Deshalb hat Rheinland-Pfalz heute einen entsprechenden Änderungsantrag in den Bundesratsrechtsausschuss eingebracht“, erklärte Staatssekretär Philipp Fernis anlässlich der heutigen Sitzung des Ausschusses in Berlin.
Durch das „Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung“ vom 4.11.2016 wurde die Strafvorschrift der sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung so erweitert, dass das Grunddelikt u.a. bereits das Handeln gegen den erkennbaren Willen des Opfers unter Strafe stellt. Diese im Sinne des Opferschutzes positive Änderung hatte jedoch den Nebeneffekt, der Reduzierung der Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr auf sechs Monate. Dies wiederum hat rechtstechnisch die (vermutlich unbeabsichtigte) Konsequenz, dass das Delikt vom Verbrechen in ein Vergehen abgestuft wurde. Nach § 12 StGB sind Verbrechen rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind; Vergehen solche, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.
Ein Anspruch auf Beiordnung eines Nebenklagevertreters und damit einer rechtlichen Beratung und Unterstützung der Opfer besteht nach § 397a StPO allerdings nur bei Verbrechen nach § 177 StGB. Dies war nach altem Recht unproblematisch, da bis zur Gesetzesänderung alle Fallvarianten des § 177 StGB als Verbrechen ausgestaltet waren. Die sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB alte Fassung) sah eine Mindeststrafe von einem Jahr vor, die Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 StGB alte Fassung) als besonders schwerer Fall eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren.
Die Vergewaltigung in § 177 Abs. 6 StGB neue Fassung ist weiterhin als besonders schwerer Fall mit einer Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren sanktioniert. Da der Grundtatbestand aber nunmehr ein Vergehen ist, stellt sich auch der besonders schwere Fall als Vergehen dar.
Daher besteht in beiden Fällen nach inzwischen geltendem Recht kein Anspruch des Opfers auf einen Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter mehr. Der von Rheinland-Pfalz eingebrachte Änderungsantrag sieht vor, dass an Stelle von „Verbrechen nach § 177 StGB“ es ausreichen soll, dass „eine Straftat nach § 177 StGB“ vorliegt.
„Diese ungewollte Schlechterstellung der Opfer erheblicher Sexualstraftaten muss schnellstmöglich beseitigt werden. Deshalb haben wir mit unserem Änderungsantrag nun den Schluss dieser Lücke in die Wege geleitet. Es freut mich, dass wir für diese wichtige Anpassung auch die Unterstützung anderer Bundesländer erhalten. Die rechtliche Beratung und Unterstützung von Opfern sexueller Gewalt im Ermittlungs- und Strafverfahren muss im Sinne eines effektiven Opferschutzes gewährleistet werden“, so Fernis abschließend.
Hintergrund
§ 177 StGB Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
· 1.der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
· 2.der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
· 3.der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
· 4.der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
· 5.der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
· 1.gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
· 2.dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
· 3.eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) 1In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. 2Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
· 1.der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
· 2.die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
· 1.eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
· 2.sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
· 3.das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
· 1.bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
· 2.das Opfer
o a)bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
o b)durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.