Im Mainzer Justizministerium stellte Justizminister Herbert Mertin heute den Abschlussbericht der Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz zum Thema „CRISPR-Genom-Editierung am Menschen“ vor. Die Kommission hat sich unter seinem Vorsitz und unter Beteiligung von zuletzt 26 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (aus Ethik, Theologie, Medizin, Natur- und Rechtswissenschaften) sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Gewerkschaften und zuständigen Landesministerien rund drei Jahre mit dem Thema aus ethischer, sozialer, rechtlicher und wirtschaftlicher Perspektive beschäftigt.
In dem nun vorliegenden Bericht vom 29. Juni 2020 hat sich die Kommission auf die Beantwortung von Fragestellungen rund um den Eingriff in die menschliche Keimbahn konzentriert und die weiteren Themen im Zusammenhang mit der Nutzbarmachung von CRISPR-Cas bei Pflanzen und Tieren weitestgehend ausgeklammert, um den Rahmen der Stellungnahme übersichtlich zu halten.
Die Kommission unterstützt wesentliche Feststellungen des Deutschen Ethikrats und die vom Ethikrat empfohlenen Begleitmaßnahmen. Das dort ebenfalls empfohlene (internationale) Moratorium zu klinischen Anwendungen von Keimbahneingriffen erachtet die Kommission indes weder als zielführend noch als durchsetzbar.
Der internationale Entwicklungsdruck lasse ein weiteres Zuwarten des bundesdeutschen Gesetzgebers auf das Finden nationaler Antworten zu sich aufdrängenden Fragen als nicht angezeigt erscheinen. Bereits jetzt finde in ersten Studien der Übergang von CRISPR-basierten Anwendungen in die klinische Anwendung statt, wie etwa in der jüngst in „Science“ publizierten Studie zur Therapie refraktärer Tumore mit CRISPR ersichtlich. Noch bezögen sich die klinischen Studien auf somatische Interventionen bei Patienten, die bei schwerer Erkrankung keine Aussicht auf alternative Therapien hätten. Je nach Ausgang dieser Pilotstudien würden in den kommenden Monaten und Jahren Möglichkeiten für weitere klinische Anwendungen geschaffen.
Im Weiteren stellte sich die Kommission die Frage, ob – und wenn ja unter welchen ethischen und rechtlichen Voraussetzungen – eine gezielte genetische Veränderung des menschlichen Genoms mittels CRISPR-basierten Verfahren vorgenommen werden könne. Dabei nahm sie in besonderer Weise die transgenerationelle biotechnologische Verantwortung in den Blick und kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Keimbahntherapie auf absehbare Zeit eine Beschränkung der Zulassung klinischer Forschung und Anwendung auf schwerwiegende Erkrankungen nicht nur zulässig, sondern auch geboten erscheine.
Von Keimbahntherapien seien allerdings Modifikationen abzugrenzen, die zur Steigerung bzw. Erzeugung spezifischer Leistungen oder Eigenschaften eingesetzt würden („Enhancement“, „Optimierung“). Solchen Fehlentwicklungen sei durch geeignete, auch rechtliche, Maßnahmen zu begegnen.
Auch wenn zum gegenwärtigen Stand der Forschung ein Keimbahneingriff noch nicht vertretbar sei, seien nach Auffassung der Kommission Fälle denkbar, in denen schweres menschliches Leiden durch Keimbahntherapie vermieden werden könne, ohne dass unvertretbare Risiken zu befürchten wären. Die Wahrnehmung der darin liegenden Chancen solle eher gefördert als verhindert werden. Hierbei sei vorauszusetzen, dass schwere Neben- und Negativfolgen ausgeschlossen werden können.
Aus diesem Grund dürfe das unterschiedslose Verbot jeder Veränderung der Erbinformation einer menschlichen Keimbahnzelle in § 5 ESchG unter den genannten Voraussetzungen nicht mehr haltbar sein. Zudem sei die gegenwärtige bundesgesetzliche Rechtslage – insbesondere im Embryonenschutzgesetz – unzureichend, weise Lücken auf und bedürfe einer zeitnahen und umfangreichen Neuregelung.
Die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz hat trotz unterschiedlicher Auffassungen zu Einzelfragen insgesamt ein hohes Maß an Übereinstimmung erzielt, wobei zwei Sondervoten abgegeben wurden. Mehrheitlich ist sie zu den nachfolgenden Empfehlungen gelangt:
1. Die Forschungsfreiheit soll auch bei der Erforschung der Keimbahntherapie keine kategorischen Verbote erfahren. Vielmehr soll die Forschung auch mit dem Ziel der klinischen Anwendung von Keimbahneingriffen am Menschen unter den geltenden Standards guter wissenschaftlicher und klinischer Praxis möglich sein.
2. Gentherapeutische Projekte (Grundlagenforschung und angewandte Forschung) sollten verstärkt unterstützt werden. Es gilt, den Innovationsprozess patientenorientiert effektiv zu stärken und Förderinstrumente zielgerichteter im Sinne translationaler Forschung zu justieren, um den Übergang von der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung zu ermöglichen.
3. Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) und das Gendiagnostikgesetz (GenDG) sollten überprüft und überarbeitet werden, auch um die Entwicklung neuer gentherapeutischer Verfahren vor dem Hintergrund einer verbesserten Rechtsklarheit vorantreiben zu können. Die Forderung der Leopoldina nach einem Fortpflanzungsmedizingesetz, ergänzt um Regelungen zur Keimbahntherapie, wird unterstützt.
4. Die Tragweite und die Risiken einer Keimbahnintervention rechtfertigen eine erhebliche Beschränkung des Zugangs auf präventive und kurative Ziele. Die Anwendung einer Keimbahnintervention soll daher als repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet werden.
5. Auf die Festschreibung eines bestimmten Krankheitskatalogs oder die zwingende Beschränkung auf monogenetische Ursachen soll verzichtet werden. Bei der Prüfung multifaktorieller Erkrankungen kann es im Sinne einer „erheblichen Prädisposition“ genügen, dass genetische Ursachen nur eine - bestimmende - Mitbedingung für die fragliche Erkrankung darstellen.
6. Die im Einzelfall vorzuschreibende Prüfung, ob eine schwerwiegende (Erb-)Krankheit vorliegt, die die Zulassung einer von den potentiellen Eltern freiwillig gewählten Keimbahnintervention rechtfertigt, soll durch interdisziplinäre Kommissionen (z.B. nach dem Vorbild der PID-Ethikkommissionen) erfolgen.
7. Potentielle Eltern, die an die Inanspruchnahme einer Keimbahnintervention denken, sind von einer unabhängigen Einrichtung ethisch und psychosozial zu beraten.
8. Falls Keimbahninterventionen zugelassen werden, sollte gewährleistet sein, dass sie – auch in ihren Langzeitfolgen – medizinisch und sozialwissenschaftlich erforscht und dokumentiert werden.
Minister Mertin zeigte sich erfreut darüber, dass nach nunmehr zehn Jahren die Bioethik-Kommission des Landes einen weiteren Bericht – den inzwischen zehnten – vorgelegt hat: „Seit ihrem ersten Bericht zur Fortpflanzungsmedizin im Jahr 1986 hat die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz immer wieder bundespolitische Debatten und Gesetzgebungsverfahren auf dem Feld bioethischer Fragen ganz maßgeblich angestoßen und geprägt – beispielsweise bei Fragen der Präimplantationsdiagnostik, der Stammzellforschung und der Sterbehilfe. Auch von dem aktuellen Bericht erhoffe ich mir eine solche Signalwirkung“.
Information:
Die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz wurde erstmals im Jahre 1985 einberufen und ist seitdem beim Ministerium der Justiz angesiedelt. Seit ihrem Bestehen hat sie nunmehr zehn Berichte vorgelegt (u.a. zu Stammzellenforschung, Fortpflanzungsmedizin und Sterbehilfe), der vorangegangene datiert aus dem Jahr 2010. Alle Berichte finden sich unter https://jm.rlp.de/de/themen/bioethik-kommission-rheinland-pfalz/.